
gesprochen: sotschitls
Ein magischer Thriller und ungewöhnliche Liebesgeschichte.
Es ist nicht immer gut und richtig, was wir wollem; sondern was uns guttut.
Momente mit Lorena; eine faszinierend Frau, die mich nach Mexiko lenkte.
E-Book= ISBN: 978-3-7502-2098-0
Gehen muss ich also, wie Blumen verwelken?
Mein Name wird er zunichte?
Lasse ich von mir nichts zurück auf der Erde?
Blumen wenigstens! Wenigstens Lieder!
Wie soll handeln mein Herz?
Kämen wir, um zu leben, um zu sprießen,
umsonst auf die Erde?
(anonym)
Aus dem Buch von Ursula Ewald:
Cantares Mexicanos, R.Peyer erzählt)
Die Flucht
Nachts gehen viele Raubtiere auf die Jagd, in der Dunkelheit sind sie uns Menschen überlegen. Sie sehen gut, nehmen die Beute und die Gefahren wahr, haben die Möglichkeit ihr Umfeld zu kontrollieren.
Sie handeln nach ihrem Instinkt, wurde ich gelehrt. War der Mensch nicht das größte Raubtier? Wo aber war dann sein Instinkt, der angeborene Trieb? Er war erlernt und überwog gegen das angeborene Verhalten.
Ich war ein Mensch, es war dunkel.
Wie ein Brennglas bündelte die Dunkelheit meine Gefühle.
Wolkenschiffe zogen vor der Mondsichel, verschluckten das schmale Licht, ließen es dann wieder zu, den Strand und das Wasser zu beleuchten.
Im Schatten eines Strauchs stand ich, wartete, war mir bewusst, ich musste noch eine kurze Zeit geduldig sein.
Meine Gedanken jagten sich in einem mystischen Zauberraum, der sich auftat und mich erinnerte an einen meiner Klassenlehrer, der im Biologieunterricht lehrte, dass wir Menschen rund 20.000 Entscheidungen am Tage treffen.
Die meisten davon blitzschnell. Das sind die Bauchentscheidungen!
Sie sollten meistens nicht schlechter sein, als die rationalen Entscheidungen.
»Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen.«
Das waren Worte von dem Franzosen Blaise Pascal.
Ich hatte Pläne, für mich gewaltige und es sollte keiner über sie lachen.
Ende Mai saß ich unter der großen Linde, die vor meinem Elternhaus stand und rang um eine Entscheidung. Der innere Unmut drängte mit der Frage: War es jetzt Zeit eine Handlung einzuleiten, welche zwei Optionen zur Folge hatte: Die Freiheit oder Gefängnis, auch der Tod war nicht auszuschließen!
Die Weltenuhr steht manche Zeiten still, dann kommt der Moment, in dem die Zeiger mit einem Ruck vorspringen und es nicht mehr so ist, wie es war.
So zählt im gesamten Leben oft nur der Augenblick.
Was ist ein Augenblick?
Eine Sekunde, eine Minute oder eine Stunde?
Siege gewohnt zog einst das Heer ins Gefecht. Der König in seiner Prunkrüstung voran, hinter ihm die Staubfahne. Kein Zauberer, kein Traumdeuter enthüllte ihm, dass der Zeiger vorgesprungen war, die Weltgeschichte eine neue Ära begann und seine Regierungszeit in einem Wirbelsturm verwehte.
Wenige Minuten nach dem Beginn der Schlacht war der König entseelt. Die Hauptleute und Offiziere erschlagen, auf den Kampfwagen hingen mit Pfeilen gespickt die Besatzungen.
Die schnellen Bastionen auf Rädern hatten bei allen Kriegern die Überlegenheit gegen die Fußsoldaten gesichert, die ungestümen Reiter aus den Steppen Asiens brachten nun das Ende.
Das geschah vor vielen tausend Jahren und ist heute nicht anders!
Diesen Augenblick, indem der Zeiger mit einem Sprung auf der Weltenuhr vorrückte, merkt der Betroffene erst im Nachhinein. Er lebte in einer Illusion, diese wirkte, schaffte, erzeugte ein Bild, bis der Illusionist schließlich daran glaubt – und glaubt alles im Griff zu haben!
Bis der Mensch wahrnimmt, er ist nicht der Hypnotiseur, der Meister der Utopie, der helle, der exorbitante Kopf - musste er erfahren, die Mitwelt wird im Spiel immer besser sein.
Sie ist gerissener als er, und nicht nur das, sie ist schneller und skrupelloser.
Die Welt ist ein Theater. Auf dieser Bühne muss der Mensch versuchen, die Schwachstellen zu finden, dem Schlag unter der Gürtellinie auszuweichen.
Diese Trennlinie ist unwahrscheinlich dünn.
Alea iacta est, sollte nach Sueton Caesar gesagt haben, als er den Rubikon überquerte.
Der Würfel ist geworfen, lehrte mich mein Lateinlehrer.
Andere Sager übersetzten: Der Würfel ist gefallen.
Ist es identisch?
Geworfen: Geschleudert, Gewälzt, Gepfeffert.
Gefallen: Stolpern, Abfallen, Neigen.
Ist es also nicht!
Manche Nuance, mancher Zungenschlag, manche Tat scheint gleich, ist es aber nicht.
Denn was dem König erlaubt, ist dem Bettler noch lange nicht gestattet.
Alle Menschen sind gleich!
Was ein Traum!
Der ist gefährlich, der kann tödlich enden.
Bevor der Würfel geworfen wird, wenn der Zwiespalt die Gedanken zerreißen will, der Geist schwankend ist, was dann?
Die Gedanken des Feldherrn, mit dem scharfen Blick über das Ufer, vor seiner Entscheidung den Würfel zu werfen: Noch können wir zurück, noch fließt kein Blut; wenn wir diese kleine Brücke überschreiten, wird alles mit Waffen auszutragen sein!
Ich hatte diese Trennlinie zerschnitten, Siege gewohnt griff ich zum Schwert.
Es war der Augenblick, indem ich mich unbesiegbar fühlte, ritt auf hoher Welle und glaubte alles im Griff zu haben.
Jetzt aber klopfte mein Herz. Die Nerven gespannt wie die Saiten auf einer Geige.
»Verzage nicht mein Herz! Das Ei kann Federn kriegen und aus der engen Schale empor zum Himmel fliegen«, flüsterte ich mir Mut zu.
Eigentlich kannte ich diese Augenblicke, in denen das Herz klopfte, obwohl es keine körperliche Anstrengung gab.
Es war das A, es grollte in der Tiefe meiner Brust, zeugte das Klopfen, den trocknen Mund, kurz gesagt es war der Albdruck vor dem Unbekannten.
Das Grausen, das Kommende nicht kontrollieren zu können, das gedankliche Abtasten und erwägen vieler Möglichkeiten.
Sie packte mich, wenn ich beschlossen hatte ein Mädchen anzusprechen, oder die wenigen Minuten vor dem Sturmangriff, das fiebrige kriechen auf die Weimarer zu, um ihnen die Kehle durchzuschneiden.
Dann die Befreiung, nach der gelösten Frage: Der Sprung in die Freiheit, raus aus dem Orbit von der Staatsmacht, beim Rennen und bei der Tat.
Ich hörte ein Hüsteln, es kam von links. Zwei leise Stimmen kamen vom Wasser auf die kleine Mauer zu, umrundeten diese und gingen weiter nach rechts. Zwei Schatten, zwei Bäuche, Platz für ein dreieinhalb Kilogramm-Kind.
Versunken in ihrem Gespräch tapsten die beiden Uniformen an meinem Versteck vorbei.
Der große Zeiger auf der Uhr stand auf zwölf Uhr fünfundfünfzig! Hoffentlich die letzte Wache, dachte ich.
Um zwanzig Uhr hatten die Streifen die letzten Urlauber vertrieben. Gegen zweiundzwanzig Uhr erreichte ich den Busch und hinter diesem Versteck wartete ich mit der Hoffnung, dass es gegen Mitternacht stille wurde.
Ein Radfahrer schwirrte vorbei, sein Dynamo surrte lästig – dann war es still, tief zog ich die Luft ein und ging los, ein erlösendes Hurra, und - jetzt gab es kein Zurück mehr!
An der Mauer vorbei, gebückt schlich ich durch den dünnen Nebelschleier direkt auf den Wachturm zu. Kam der Finger des Scheinwerfers mir zu nahe, sank ich platt gleich einer Flunder in den Sand.
Ich schlug einen Bogen und stand endlich vor der »Justina«.
Aus der Hocke sprang ich hoch, krallte den Handlauf der Reling, ein Klimmzug, ein Stemmen und ich stand auf dem Deck.
Vor zwei Tagen hatte ich die Verkleidung an der Kajüte gelöst und in dem Hohlraum meine Materialien versteckt.
Mit wenigen Griffen klappte ich die Bretter zur Seite und zog meine Sachen heraus.
Vorsichtig hievte ich sie über die Reling, ließ sie hinunter in den Sand und sprang hinterher.
Oft geübt, montierte ich blind den Akkukasten, den Elektro-Motor mit der langen Schraubenwelle und der Steuerstange auf das selbst gebaute Surfbrett.
Den Rettungsring, auf der einen Seite schwarz und auf der Gegenseite weiß, band ich über den Akkukasten mit Gummiriemen fest und klemmte eine wasserdichte Taschenlampe dazwischen.
Der Scheinwerfer schwenkte heran, aber in letzter Sekunde wieder fort.
Schwitzend zog ich das Dingi zum Wasser und schob es in die Wellen.
Bis zu den Knien stand ich der Dünung, die brechenden Wellen spritzten bis zum Po, kippte den Motor nach unten, so dass die kleine Schiffsschraube in das Wasser tauchte, zog die Flossen an und die Brille über die Augen, packte den ovalen Griff der Steuerstange, mit der ich das Surfbrett lenken konnte und schwamm auf die offene See hinaus.
Nach rund dreißig Meter wurde das Wasser tiefer, ich zog an der Leine und die Schraube drehte sich.
Trotz der Wellen gewann das seltsame Gefährt an Fahrt, zog mich hinaus aufs dunkle Meer und mit vier Kilometer in der Stunde auf das Licht des Leuchtturms von Dahme zu.
Die Zeit schlich, kaum verringerte sich die Entfernung zum rotierenden Licht.
Dann plötzlich wurde das einschläfernde Plätschern der Wogen gestört - von links hörte ich einen Schiffsmotor, nach zwei Minuten sah ich den Bug mit schäumendem Bart eines Kontrollbootes durch die Wellen brechen.
Ein Wachboot vom Typ Kondor der Grenzbrigade »Küste« brauste heran.
Der Schnappatem wollte anfangen.
»Langsam und tief atmen«, gab ich mir leise den Befehl.
Meine rechte Hand griff nach der Leine, zog und der Motor drehte nicht mehr die Schraube.
Bewegungslos schaukelte ich in der Dünung.
Zwanzig Meter an meiner Nase vorbei strebte das Wachboot nach Osten, ich atmete auf, ich wurde nicht entdeckt.
Mit einem kurzen Zug startete ich den Motor, veränderte meine Haltung und bewegte meine Flossen. Nur keinen Krampf in den Waden, dachte ich.
Schon weit weg von der »Nordgrenze« verflüchtigte sich der Nebel und ich sah weit links das helle Licht des Leuchtturms von Dahmeshöved.
War ich für Sekunden eingeschlafen?
Gerade vor meiner Nase musste das Licht leuchten, mit wenigen Grad änderte ich den Kurs.
Nach fünf Stunden war der Akku leer.
Mit der rechten Hand löste ich den Rettungsring vom Akkukasten, klemmte ein Stück Schnurgeflecht zwischen meine Zähne, drehte zwei Flügelmuttern von den Gewindebolzen, ließ den Griff los und schubste den Kasten und den Motor ins Wasser.
Lautlos versanken die Teile in der Tiefe.
Den Rettungsring schob ich auf das Brett, vergewisserte mich, dass auch die Taschenlampe noch da war, drückte mit den aufgestemmten Armen das Brett ins Wasser, unter meinen Bauch und legte mich auf den Rettungsring.
Mit den Händen hielt ich das Brett fest, die Beine hingen im Wasser, mit den Flossen als Antrieb schwamm ich mit eigener Kraft auf das Licht der Freiheit zu.
Der Himmel wurde grau, das Land vor Augen merkte ich, wie meine Kraft nachließ und ich müde wurde. Mühsam wälzte ich mich auf den Rücken um Kraft zu sparen und den Körper zu entspannen. Aber bald rollte ich wieder auf den Bauch, mit der Rückenstellung ging es kaum vorwärts und es war schwer den Kurs zu halten.
Dann sah ich den Fischkutter.
Er kam von Osten und fuhr meine Richtung.
Nach wenigen Minuten konnte ich am Heck den Namen Dahme entziffern.
Schnell schob ich die schwarze Kopfhaube nach hinten, zerrte den Rettungsring und die Taschenlampe hervor, knipste die Lampe an und schwenkte das Licht und die weiße Seite des Rings über meinen Kopf.
Das Schiff lief parallel an mir vorbei, verringerte die Fahrt und erleichtert sah ich das Boot wenden und auf mich zusteuern.
Ein Bleiklumpen fiel von meinem Herzen.
Nach wenigen Minuten schob sich die Bordwand des Kutters gleich einer sperrenden Wand in mein Blickfeld. Am Heck schäumte die Schraube das Wasser, mit Fahrt zurück kam das Schiff zum Halten und dümpelte vor meinem Blicken.
Ein Rettungsring klatschte in die Wellen.
Verbunden mit einem Manntau, das hoch zur Reling lief.
Mit der verbliebenen Kraft schwamm ich die vier Meter zu dem Ring, stieß meine Hände und Arme durch die Öffnung, zwängte den Kopf und Schultern hindurch, das Seil straffte sich und ich wurde aus dem Wasser gezogen.
Breitbeinig stemmte ich meine Füße an die Bordwand. Ich wollte nicht an die Schiffswand schlagen.
Vier Männerfäuste halfen mir über die Reling. Mit dem Gedanken zu gehen, knickten mir die Beine weg und ich wäre umgefallen, hätten mich nicht die vier Hände festgehalten.
Unfähig meine Beine zu bewegen, führten mich vier Hände zu einer Kiste und setzten mich darauf.
Ein dritter Mann mit einer verwaschenen weißen Mütze zog mir die Flossen von den Füßen und sagte grinsend: »Wenn man zu lange schwimmt, verlernt man das Gehen.«
Müde nickte ich.
Der Kapitän führte mich unter Deck, sah mich von oben bis unten maßnehmend an und kramte aus einer Seemannskiste einen dicken weißen Wollpullover und eine blaue Jeans.
Aus einer Wandklappe zog er ein paar braune Schuhe und meinte fröhlich: »Die werden drücken, aber lange brauchen Sie nicht mit diesen Tretern herumlaufen.«
Den Gummianzug zog ich von meinem Körper und streifte die Kleider über.
Die Türe ging auf und ein Matrose brachte heißen Kaffee und eine Butterbrezel. Gierig schlürfte ich den Kaffee und kaute die Brezel.
»Der Kaffee ist lecker!«
»So?«
»Ja. Kenne nur eine Art Muckefuck.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Magdeburg. Ich war im Urlaub in Boltenhagen, hatte meine Flucht zwei Jahre geplant. In Boltenhagen war es fast unmöglich unbemerkt ins Wasser zu gelangen. Darum hatte ich mir schon vorher ein Versteck zwischen Redewisch und Steinbeck gesucht. In einer verfallenen Hütte versteckte ich ein Surfbrett, einen Akkukasten und einen E-Motor mit Schraubenwelle. Das zog mich hinaus aufs Meer.«
»Woher haben Sie den Schlepper?«
»Habe ich mir gebaut. Bin Maschinenbau-Ingenieur.«
»Toll. Woher haben Sie den Bauplan?«
»Aus meinem Kopf.«
»Sagenhaft. Wie heißen Sie?«
»Peter Horn. Am 28. November 1958 geboren, 1,80 Meter groß, Polytechnische Oberschule, Abitur und Studium, Wehrdienst und als Ingenieur bei der SKL in Magdeburg. Mein Vater ist Schleifer bei SKL.«
»So genau wollte ich das gar nicht wissen«, lachte der Kapitän. »Ich heiß übrigens Paulsen.«
»Ich danke auch.«
»Gerne.«
»Wissen Sie wo ich mich nachher melden muss?«
»Ganz einfach, wenn wir mein Schiff im Hafen festgemacht haben, bringe ich Sie zur nächsten Polizeistation.
Die werden Sie erst einmal ausfragen und dann weiterreichen.«
»Wie weit?«
»Das kommt auf Sie an.«
»Wieso?«
Paulsen lachte und meinte: »Wie Sie und was Sie antworten.«
Scharf sah ich Paulsen in die Augen, und glaubte, dass ich den Kapitän verstanden hatte.
»Danke. Das war hilfreich.«
»Das habe ich gerne gemacht.«
Paulsen starrte geistesabwesend zum Bullauge hinaus.
»Ist noch etwas?«, fragte ich.
»Es ist schon seltsam. Gestern fand auf der Glienicker Brücke in Berlin der bis dahin größte Agentenaustausch zwischen West und Ost statt.
Fünfundzwanzig Westspione wurden gegen vier Ostspione ausgewechselt.
Die marschierten einfach so über die Brücke.
Und Sie, Sie schwimmen tollkühn über die See und riskieren ihr Leben um frei zu sein.«
»Ich wäre auch lieber über eine Brücke marschiert.«
»Sie sind kein enttarnter Spion.«
Paulsen sah mich abwägend an.
Der hält mich möglicherweise für den fünften Spion, dachte ich.
»Sie können sich hinlegen, ich wecke Sie, wenn wir anlegen.«
»Danke.«
Paulsen verließ die Kabine und ich legte mich in die Koje.
Mein geschulter Sinn warnte mich.
Der Systemwechsel würde nicht so einfach sein und ich wappnete mich, dass es nicht so glatt verlief,
wie ich mir das in meinen Illusionen vorgestellt hatte.