
Der endende Kreis - eine Trilogie
Gott, Ursprung des Weltalls,
Der Du alles erschaffen,
Gold, das glüht,
In der Finsternis unserer Herzen.
Ach, käme das Glück Deiner Augen
In der Morgenröte!
Ach, käme die Inbrunst Deines Odems
Mit dem Wind.
Ach, hieltest Du immer
Deine großmütige Hand über uns ausgestreckt,
Sei Dein ewiger Wille,
Der einzige der blüht.
Altes Inka-Lied
Hans-Eberhard Camgus
Ac mihi quidem
Der Duft von Mimosen zog in meine Nase, obwohl das nicht sein konnte.
Es konnte noch vieles nicht sein!
In dem dunklen Laderaum, tief im Bauch der »Cova d’onnica«, sollte es nach Altöl, Kohle
und Rost stinken. Dampfmaschinen mussten stampfen, Lenzpumpen singen, nichts der
gängigen Gedröhne eines Frachtdampfers hörte ich.
Gleißende Lichtflecken schwirrten über die schwarzen Wände, dem Boden und der Decke.
Die Rostplacken wurden zu Löchern, aus denen im blauen Lichtrahmen gesichtslose
Schatten starrten.
Der einzige Gegenstand in dem Raum war ein Ölfass, auf dem eine Kerze leuchtete,
über die ich Gewalt hatte und die winzige Flamme als Licht der Hoffnung flackerte.
Ich hörte trappelnde Füße, sah niemand, das Hin und Her nervte.
Immer wieder versuchte einer der Schatten, in dem Moment wo ihn der Lichtfleck
nicht beleuchtete, die Flamme zu ersticken und ich fand keine Waffe, keine Möglichkeit
um das bedrohliche Irgendetwas fortzujagen. Aber es gelang mir immer wieder,
wenn eine Schattenhand die Kerze löschte, sie wild entschlossen mit meinem Feuerzeug
wieder anzuzünden.
Die Gespenster drängten, wehten aus den Löchern, dicht an dicht standen sie,
bedrohlich, nicht greifbar, ohne Gesicht und fester Form.
»Was wollt Ihr denn?«, rief ich verzweifelt.
»Wir sind es, die Ausgekämpften«, flüsterte ein Chor von Stimmen.
»Was wollt Ihr von mir?«
»Wir suchen deine Hilfe!«
»Meine Hilfe, wie das? Ich kenne euch nicht!«
»Doch, doch!«
»Doch?«
»Ja! Du hattest vor vielen Wochen unser Land betreten, wir stiegen herab aus den
Felsklüften der Anden,
aus dem dämmrigen Grün des Dschungels und beobachteten dich. Wir leben an dem Ort
unserer Bestimmung,
dort verrinnt keine Zeit, kein Luftzug bewegt einen Strauch, kein Bach plätschert,
es ist nicht hell auch nicht dunkel. Nur Leere, Angst und Leid! Wir finden keine Ruhe,
warten auf Moncreiffe.«
»Da bin ich der falsche Mann!«
»Nein, nein! Dein Samen wird einen Erhabenen einen Bruder nennen und über diese
Brücke können wir
das Neuland erreichen, wo der zweite Tod kein Anrecht an uns hat.«
»Wer soll der Erhabene sein?«
»Meister Pomamincha Ahasverus aus Cha-Cha.«
Die Kerze erlosch, schweißgebadet saß ich rechtwinklig im Bett.
»Elender Alptraum«, murrte ich und kämpfte weiter so die ganze Nacht.
Einschlafen, träumen, aufschrecken, einschlafen, träumen und aufschrecken.
Der alte Wecker auf dem Nachttisch rasselte und erlöste mich in der frühen
Morgenstunde aus dem Ringen
mit den Nachtgeistern.
Froh, wieder Herr meiner Sinne zu sein, aber mit fehlender Schlaftiefe,
hob ich vorsichtig meine Augenlider.
Widerwillig begrüßte ich den jungen hässlichen Tag.
»Meister Pomamincha Ahasverus aus Cha-Cha«, sagte ich laut.
»Wer war das?«
Ich fand keine Antwort. Friedrich, Jean-Louis oder Cornelis hätten mir bestimmt
weitergeholfen. Sie waren aber nicht da.
Ich drehte mein Gesicht zum Fenster.
Milchig schimmerte das Morgenlicht in das Hotelzimmer, bemalte die spärliche
Einrichtung mit einem aschfahlen Glanz und erinnerte mich an eine geöffnete Gruft.
Dieses Bild und der Nachhall des Traums trugen nicht dazu bei, den neuen Tag
willkommen zu heißen.
Was bewegte mein Gehirn, um solch einen Film zu gestalten? Wie kam ich auf den
Namen »Meister Pomamincha Ahasverus aus Cha-Cha?«
John sagte: »Manche Träume geben einen schöpferischen Einblick in die eigene Seele.«
Ich fand nicht den Brösel einer schöpferischen Erinnerung.
Die geballten Erlebnisse der vergangenen Monate, der ständige Wechsel zwischen
Dreck und Dusche,
Brutofen und Kühlschrank, Waschküche und Trockenboden, der Tanz zwischen Freude,
Scham, Wut, ungeheurer
Anspannung und der elenden Unruhe, setzten mir mehr zu, als ich es wahrhaben wollte.
Die ersehnte Kraft durch einen kellertiefen Schlaf zur Neugeburt, war mir nicht vergönnt:
Wie Kobolde bunte Bälle herumwarfen, irrten die aufgewühlten Schichten des
Unterbewusstseins durch meinen Hirnkasten
und alles trampelte auf meinen Nerven herum. Dazu lauerte vor dem Haus jene
miese Jahreszeit,
in der ein harter Winter seine Kälte verlor, aber vom Frühling noch nichts zu spüren war.
Ich winkelte meine Beine an und schwang sie aus dem Bett. Setzte die Füße auf
den Dielenboden und als ich mich aufstemmte kam mir der Verdacht, die Schwerkraft
sei über Nacht verstärkt worden.
Unlustig schlich ich zum Waschtisch.
Das Zahnputzglas war offenbar Lebensmüde, es sprang von der Marmorplatte in den Tod.
Das kalte Wasser aus dem Steinkrug half mir, etwas munter zu werden.
Aber es dauerte ungewöhnlich lange, bis ich endlich angezogen und reisefertig aus
dem Zimmer
trat und die knarrende Holztreppe abwärts stieg.
Der Hotelbesitzer verlangte zwanzig Deutsche Mark für die Glasscherben. Das Frühstück
schmeckte einfältig. Der Koch feierte Ostern, steinhart starrte mich das halbierte
Hühnerei an. Das Brot schmeckte pappig und die Butter verdiente ihren Namen nicht.
Die Rechnung wurde von einem Wegelagerer ausgestellt und schlicht gesagt, war sie
eine Unverschämtheit.
Auf dem Weg zum Bahnhof lockte mich eine Bäckerei.
Während ich geduldig anstand um mir drei Hörnchen zu kaufte, drängelten sich zwei
bieder aussehende Damen zwischen die Theke und mein Gesicht.
Die beiden Grazien merkten nicht, dass ihr Betragen den Wildhunden in der Prärie
leichkam.