
Ein historischer Roman
Der Begriff Frieden ist ein vager Begriff mit unscharfen Grenzen.
Diese sind schnell überschritten, wenn in einer Gesellschaft häufig und in
starker Intensität Gewalt vorkommt - und es ein Klima der Gewalt gibt.
Das Klima der Gewalt beginnt verborgen und wuchert im Denken, Handeln und der
Moral in einer Gesellschaft. Eine der Säulen zum Frieden ist Gerechtigkeit.
Nur, die Gerechtigkeit ist eine Möglichkeit und Stabilität zum Frieden,
wenn relevante Gruppierungen in einer Gesellschaft sich einig darüber sind,
was Gerechtigkeit ist. Frieden ist kein instrumenteller Wert als Mittel zur
Realisierung von Gerechtigkeit. Deren brisante Schlüsselfaktoren sich aus,
Handlungen, Gesetzen, Verordnungen gestalten, die das Zusammenleben fördern
und nicht als Folge den gesellschaftlichen Frieden zerstören.
Sinéad Ruith war eine Hexe!
Durch die Gassen, Schankstuben, über Plätze, kroch die Hechelei und vergiftete die Herzen.
Die Anklageschrift, mit der Forderung, sie dem Feuertod zu überantworten, dämpfte den flammenden
Hass der Bürger und die Lüsternheit, Sinéad Ruith sofort den Flammen zu übergeben.
Die junge Frau kam auf der Straße vom Süden, trat durch das Eulen-Tor in die Stadt,
wollte in einem Hotel übernachten, dann weiter nach Norden ziehen, und in ihre Heimat
Schottland zurückkehren. Ihre Sprache verstanden die Ankläger nicht - und sie verstand
die Richter und Pfaffen nicht. Spärlich ihre Verständigung.
Vom Osten her färbte sich der Himmel grau, noch eine knappe Stunde und die Strahlen der
Sonne würde die Dunkelheit aus den Winkeln der Gassen und Straßen treiben! Auf dem Marktplatz
war der Scheiterhaufen geschichtet, in der Mitte der Pfahl, dort angebunden sollte die Hexe um
zehn Uhr verbrennen. Ein paar Hunde waren die ersten, die um den Richtplatz schwänzelten.
Dann kamen die Bäckerburschen, das Brot war fertig gebacken, gewöhnlich legten sie sich
erst einmal ins Bett um den Schlaf nachzuholen, um später wieder Teig anzusetzen und diesen
zu formen. Aber heute war ein unterhaltsamer, schauriger Tag. Sie wollten das Schauspiel
erleben, die Hexe schreien hören, wenn die ersten Flammen sie anleckten, der Priester das
Kreuz hob und der Satan aus dem zuckenden Leibe floh. Der Platz füllte sich. Tagelöhner,
Handwerksburschen und alte Weiber, rotzige Bälger an den Händen, trieb es zum Richtplatz.
Der Henker, der sich gerne Brandmeister rufen ließ, bahnte sich einen Weg durch die Gaffer,
hinter ihm zwei Knechte, beladen mit Strohbündeln.
Mit der aufgehenden Sonne umstellten Soldaten den Richtplatz.
Weitere Gaffer sammelten sich um den Scheiterhaufen.
Doch nicht alle fieberten nach der Exekution und dem Erleben, dem Henker bei seiner Arbeit zuzusehen.
Ein scharfer Blick in die Gesichter ließ erkennen, es bewegte sie gemischte Gefühle.
Die Hexe war kein gewöhnlicher Dieb oder Räuber, die ihre mühsam erarbeiteten Habseligkeiten
gestohlen hatten und aufgehängt wurden. Das persönliche Rachegefühl fehlte - dafür quälte die
Angst, die von Geisterbeschwörern geschürt wurde, und forderte Befreiung. Eigentlich wurden
keine Hexen und Hexer mehr gerichtet. Es passte nicht in das Zeitalter! Aber die Landesherrin
hatte der Hinrichtung ausdrücklich zugestimmt.
Das hörige oder liebende Gefühl zur Herrschaft,
beruhigte manches Herz. Die Hexe war eine Fremde, ihr offenes Gesicht, ihre Anmut erzeugt Mitleid,
Neid und bei den Rechtswahrern sexuelle Erregtheit. Besonders während der Folter, unter der sich
der formvollendete halbnackte Frauenleib, mit den Daumenschrauben oder dem Wasserschlauch im Mund,
drei Stunden auf dem Hexenstuhl, qualvoll wandte. Die Folter dauerte lange, bis endlich dem Tode
nahe Sinéad Ruith gestand: Sie hatte mit dem Teufel einen Bund geschlossen! Das war vertrackt,
ein Verstoß von höchster Schlechtigkeit! Mit dem Teufel verheiratet zu sein war das absolute Böse.
Das ging nicht.
Durch den Bund besaß sie dämonische Kräfte, die abergläubigen Herzen in der Menge plagte Angst,
dass sie ihnen Schaden bringen würde. Lief eine schwarze Katze über den Weg, bekreuzigten sie sich,
bei einer Hexe half das nicht! Einen Bann, der aus der Hölle gerufen wurde, hatte sie ausgesprochen
und der griff nach dem gütigen Grafen, er konnte nicht mehr laufen - das war Herz brechend.
Der Henker zeigte mit strenger Miene und weisender Hand, wie das Stroh zwischen die Stämme
und den Reisig hineingeschoben werden sollte. Gehorsam befolgten seine Knechte die Angaben.
»Hoffentlich ist das Holz noch feucht«, sagte eine barmherzige Stimme.
»Hoffentlich nicht!«, antwortete eine gehässige, die brummend Beifall fand.
»Wieso«, fragte eine störende naive.
Kaltschnäuzig antwortete die zweite Stimme: »Der Rauch lässt die Hexe schnell ohnmächtig
werden und sie spürt das Anbrennen nicht. Bei wenig Rauch verbrennt zuerst ihr Haut, das tut weh.«
»Ach so! Dann hören wir sie schreien!«
»Richtig, du Hohlkopf.«
Die schwirrenden, dümmlichen und herzlosen Sprachfetzen verstummten, die Hälse reckten sich,
die Kirchturmglocke schlug neun Uhr dreißig. Auf der Kirchstraße drängte sich die Menge an die
Häuserwände. Eisenbeschlagene Räder klopften, der Ochsenkarren rollte über das Kopfsteinpflaster,
knarrte um die Ecke, steuerte zum Mittelpunkt, dort wo der Scheiterhaufen lag. Wo war die Hexe?
Die Köpfe hoben sich, die Augen suchten, sie lag auf dem Boden, mit Seilen umwickelt im Rücken
einen Pfahl. Wieso das?
Besaß sie so gewaltige Kräfte, dass sie schon jetzt festgebunden war?
Ein Flüstern rieselte durch die Gassen und Straßen, gleich einem Nebelschleier senkte es sich
über den Platz und auf die Köpfe der Menschen. Ein Schauer der Bangigkeit rief Gänsehaut auf die
Rücken und Hälse, die Herzen verzagten. Würde der Teufel seiner anvertrauten Seele zur Hilfe eilen
und sie alle bestrafen?
Bücher füllende, vergessene Sünden wurden wachgerüttelt.
Man schlug das Kreuz, einzelne Weiber wimmerten.
Plötzlich trappeln von Hufen, Eisen schlug auf Stein!
Zwei Reiter zügelten ihre Pferde, mit sanftem Schenkeldruck lenkten sie ihre Reittiere durch die
Leute, hielten vor dem Ochsenkarren.
Einer stieg von seinem Fuchs, zog aus seiner Umhängetasche ein Schriftstück und reichte es dem
Scharfrichter.
Während der las, bestieg der Reiter den Wagen und beugte sich mit einem Messer in der Hand zur
Hexe hinunter.
Er zerschnitt die Fesselung, die linke Hand hob liebevoll den Kopf, die andere fühlte den Puls,
tastete den Hals ab, der Kopf beugte sich, bis das Ohr auf der Brust der Hexe verweilte.
Eine Minute, langsam und mit sehr ernster Miene trennte sich der Kopf des Mannes von dem Frauenleib,
die Hand bettete das Haupt der Hexe zurück auf den Wagenboden. Der Mann stand auf,
sprang auf das Pflaster, zornig redete er mit dem Rechtswahrer und dem Priester.
Als diese mit den Schultern zuckten, kaum Worte fanden, drehte sich der Mann um,
ging zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Er sagte etwas zu seinem Begleiter,
dessen Gesichtszüge wechselten zwischen Entsetzen und Zorn, er schüttelte voller Hilflosigkeit
seinen Kopf, um dann gleich seinem Kameraden sein Reittier umzudirigieren, es durch die
Leute zu leiten und im gemäßigten Trab ritten sie aus der Stadt.
Wie ein Feuer fraß sich die Nachricht durch die Gaffer.
Die Hexe war schon tot, man hatte sie erwürgt!
Wer?
War es Mitleid, war es Erbarmen, war es Wollust?
Warum?
Wie der Dunst aus einer Wurstküche wogte Unruhe durch die Menge. Wut, jähes Mitleid stieg
aus den enttäuschten, überraschten Herzen. Der Rechtswahrer, der Priester, die Fuhrknechte
und der Scharfrichter wurden bedroht. Vor ihren Gesichtern schreckten Fäuste, Knüppel und Messer,
und ein grollendes Murren wie ein heranziehendes Gewitter stand über den Köpfen.
Sie mussten nun erleben, das Volk ist ein aus Widersprüchen zusammengewürfeltes Ungeheuer, das unbändig von einem
Extrem zum anderen überwechselt und in seiner Anwandlung Tugend und Laster ohne Unterschied
beschützt oder erdrückt. Die Soldaten um den Scheiterhaufen halfen! Mit geübten Händen,
die Flinten mit dem aufgesetzten Bajonett vor sich, schoben sie die Leute zur Seite, eiligst
drängten die Rechtswahrer und Vollstrecker durch die Passage, vom Platz, in die Straße zur Burg
und in Sicherheit. Die Ochsen mit dem Karren, vereinsamt, aus den Augen und Sinnen, zogen an,
vor die Stadtmauer und zu dem Aushub, das war sein Ziel.
Nach dem bestandenen medizinischen Examen, der erfolgreichen Doktorarbeit, verließen die beiden Earls,
Giles of Chadburn und Tristan of Glanawydan, die britischen Inseln und reisten in das Kernland
Europas – in das Land der Kaiserin.
Beide Freunde wussten noch nicht, was sie mit ihrem frischen, gehäuften Wissen anfangen sollten – oder wollten.
Ihre Familien bezahlten die Grand Tour nach Europa. Auf diesem Trip sollten die jungen Männer als Abschluss
der Erziehung ihren letzten Schliff bekommen. Auf den letzten Hochglanz waren beide Freunde nicht erpicht!
Sie hatten viele Monate den Staub von alten Büchern eingeatmet, in Hörsälen den Vormittag verbracht und tatenlos gelebt. Wenn man das Studieren einmal so nennen durfte. Hören, schreiben, referieren, das Öffnen der Leichen an denen sie übten, und die nervigen Prüfungen, all das hatte sie auf unerklärlicher Weise entkräftet. Besonders die praktischen Handlungen! Zuerst bemerkte es Tristan bei Giles, der seine Hände hin und her drehte, vor die Nase hielt, an ihnen roch, zum Waschbecken ging und sie zum vierten Mal abseifte.